Kürzlich ist es wieder passiert: Mein Mann Johannes bat mich, bei einer Online Verkaufspräsentation dabei zu sein. Meine Teilnahme war nicht geplant, aber unser Gegenüber war auch nicht überrascht. Er ging davon aus, dass ich einen ähnlichen Wissensstand hatte wie Johannes. Geprüft hatte er das leider nicht. Denn während er sich im betreutem Lesen 😫 abmühte, platzte mir irgendwann der Kragen. Lesen kann ich selbst und das meiste wusste ich sowieso schon. Trotz meiner Bitte, das Vorlesen endlich zu beenden und auf den Punkt zu kommen, machte er weiter und mir schwante, dass das noch mindestens dreißig Minuten lang so weitergehen würde. Also unterbrach ich ihn erneut, leider mit mäßigem Erfolg. Wie kann ein Mensch nur so unsensibel sein?
Zwei Kardinalfehler, die mir immer wieder begegnen
Er hat die gleichen Fehler gemacht wie viele andere: Er hat sich selbst wichtiger genommen als seinen potenziellen Kunden. Außerdem hat er meinen Wissensstand nicht abgefragt. Das ist leider kein Einzelfall, denn ich erlebe das immer und immer wieder.
Warum fällt es uns eigentlich so schwer, Fragen zu stellen und uns ehrlich für unseren Gesprächspartner zu interessieren?
Stattdessen kauen wir unserem Gegenüber ein Ohr ab und reden ohne Punkt und Komma (ich übertreibe hier ganz bewusst) am liebsten und viel über uns selbst.
Die Antwort darauf, und auf viele andere Fragen, die mich schon lange bewegen, habe ich im Buch „Sokrates in Sneakern: Von der Kunst, gute Gespräche zu führen„ von Elke Wiss gefunden. Ich hatte es auf dem Blog von Christiane entdeckt und war sofort neugierig. Mit Lesen war ich dann nicht ganz so schnell, aber das macht ja nichts. Schließlich wollen die Inhalte auch verarbeitet und integriert werden.
Ich bin alles, nur keine geborene Kommunikatorin
Zu Beginn meines Berufslebens war ich eine schüchterne und stille junge Frau, die sich nicht traute, Fragen zu stellen. Denn ich war mit dem Satz „sei nicht so neugierig“ groß geworden. Wie wichtig Fragen sind, und dass ich damit – wenn ich aufrichtig und achtsam bin – weder die Intimsphäre des Gegenübers verletze, noch zu neugierig bin, wurde mir durch die NLP-Ausbildung bewusst. Und als Coach gehören gute Fragen sowieso zum Handwerkszeug. Aber ich bin ja immer offen für neue Sichtweisen. Das Buch hat mich echt begeistert und mir einen neuen Blick auf das Thema Fragen geschenkt.
Was ist eine Sokratische Haltung und warum ist sie fürs Fragen stellen so hilfreich?
Sokrates verstand die Kunst, Fragen zu stellen. Bei der sokratischen Haltung geht es darum, eine neugierige und staunende Haltung einzunehmen, um uns selbst und andere durchaus kritisch befragen zu können.
Dabei geht es um die Entwicklung einer offenen und fragenden Haltung, um gute, vertiefende Fragen zu stellen, die etwas in Bewegung zu setzen. Aber nicht nur das. Es geht vor allem darum, vorbehaltlos zuzuhören und sich selbst und seine eigenen Gedanken außen vor zu lassen. Es geht nicht nur darum, den Standpunkt des Gegenübers erkundend zu befragen, sondern auch gemeinsam weiser zu werden und einen neuen Blick auf ein Thema zu bekommen.
Ist das nicht eine wunderschöne Beschreibung? Ich würde mal behaupten, dass ich ganz gut Fragen stellen kann, aber nach diesem Buch ist klar, dass es noch ordentlich Entwicklungspotenzial gibt.
Warum wir viel lieber über uns selbst reden, als uns für den anderen zu interessieren
Etwas, was ich nicht nur im Businesskontext oft erlebe, sondern auch bei Selbstständigen allgemein: Wir reden endlos über uns selbst. Über unser Unternehmen und warum, wieso, weshalb wir das tun, was wir tun, und natürlich unsere Angebote. Ja, manchmal reden wir uns um Kopf und Kragen. Das Problem dabei ist, dass wir beim durchfallartigen Reden über uns selbst nicht herausfinden, ob unser Gegenüber überhaupt einen Bedarf hat. Wir wissen ja nichts über den anderen. Und warum fragen wir nicht nach?
Weil es sich einfach verdammt gut anfühlt, wenn wir über uns selbst reden.
Es gibt tatsächlich eine biologische Erklärung dafür: „Studien zeigen, dass im Gehirn Dopamin freigesetzt wird, wenn man über sich selbst (darüber, womit man sich beschäftigt, und über persönliche Dinge) spricht, und Dopamin erzeugt ein rauschhaftes Gefühl.“
That’s it! Spannend, oder?
Warum wir uns nicht trauen, Fragen zu stellen
Sehr interessant fand ich den Satz: „Wir denken, wir würden den ganzen Tag über Fragen stellen, aber eigentlich formulieren wir nur Sätze mit einem Fragezeichen dahinter.“ Im Buch geht es darum, dass wir lernen, wahrhaftige Fragen zu stellen. Fragen, die uns selbst und andere zum Denken anregen. Fragen, die zu einem vertiefenden Gespräch und neuen Erkenntnissen führen. Wahrhaftige Fragen zu stellen, ist eine „gleichberechtigte und inspirierende Suche nach Weisheit“. Ist dieser Gedanke nicht wunderbar?
Ich stelle für mein Leben gerne Fragen. Ich würde jeden, den ich kennenlerne, am liebsten in eine ruhige Ecke eines Cafés zerren und ihn ein Loch in den Bauch fragen. Nach Erkenntnissen und Erfahrungen, nach Träumen und Wünschen. Ich finde jeden Menschen so mega spannend. Und vor allem kann ich von den Erfahrungen anderer so unglaublich viel lernen. Aber nicht nur das. Solche Gespräche führen zu genau der Tiefe, die ich so liebe. Aber ich halte mich natürlich zurück, denn die wenigsten würden das verstehen. Außerdem wird es ohne eine vertrauensvolle Beziehung zu einer unangenehmen Ausfragerei und darauf hat keiner Lust. Auch ich nicht.
Aber warum fällte es uns denn so schwer, Fragen zu stellen?
Auch dafür hat die Autorin Antworten:
- Wir fürchten uns davor, dass es den anderen unangenehm ist. Dass wir durch unsere Fragen beim Gegenüber unangenehme Gefühle oder schmerzliche Themen ansprechen. Keiner möchte beim anderen Scham auslösen.
- Und wir möchten eigene Schmerzen, Gefühle und Unannehmlichkeiten möglichst vermeiden.
- Wir wollen die Stimmung nicht verderben. Möchten weder Konflikte noch Streit auslösen und damit ungesellig sein. Wir Menschen haben einfach ein unglaubliches Bedürfnis nach Harmonie.
Ich glaube, dass es beim Fragen stellen sehr auf den Kontext und die innere Haltung des Fragenden ankommt. Wenn der Kontext passt, und ich aufrichtiges Interesse am anderen habe, sind Fragen – meiner Erfahrung nach – kein Problem. Natürlich gibt es immer Menschen, die so gar nichts von sich preisgeben möchten, aber in dem Fall kann ich mich auch mal zurückhalten. Vielleicht gibt es ja einen guten Grund und am Ende gilt es immer, den anderen zu respektieren.
Ich vermute, dass ein Grund, warum wir uns nicht zu fragen trauen, der ist, dass wir eine VORSTELLUNG davon habe, wie unser Gegenüber reagieren könnte.
Aber ganz ehrlich, sollte es wirklich einmal unangenehm werden, dann kann das auch eine wunderbare Möglichkeit für eine tiefe Verbindung sein. Bei meinem früheren Arbeitgeber habe ich während des ersten Lockdowns sogenannte „Care-Anrufe“ gemacht. Und das, obwohl ich recht neu dabei war und die wenigsten Kunden kannte. Mit dem Wissen, dass ich möglicherweise dramatische Schauergeschichten bekommen würde, habe ich es trotzdem getan. Und weißt du, was passiert ist? Ich habe nur positive Erfahrungen gemacht. Die Menschen waren froh, dass sich jemand für ihre Situation interessiert. Es entstanden schöne und sehr ehrliche Gespräche.
Gute, aufrichtige und neugierige Fragen können wie ein Sprung ins kalte Wasser sein, die am Ende zu einer vertiefenden Verbindung führen. Vielleicht sollten wir einfach mal mutiger sein. Uns auf neue Erfahrungen einlassen und dabei alte Erfahrungen und Vorstellungen hinter uns lassen.
Von der Scham, Fragen zu stellen
Ich habe mich in der Schule selten getraut, Fragen zu stellen. Und auch in Seminaren war es lange Zeit eine Herausforderung, im Plenum mit Unwissenheit zu outen. Im Mittelpunkt zu stehen, während sich alle Augen auf einen richten, war mir schon immer unangenehm.
Wie groß die Scham ist, Fragen zu stellen, wurde mir durch dieses Buch erst so richtig bewusst.
Im Network Marketing werden Neupartner eingearbeitet und dann sind Fragen eine sogenannte Holschuld. Auch wenn Fragen da sind, werden sie nur selten gestellt. Jeder versucht, sich irgendwie durchzuwurschteln. Jetzt weiß ich endlich, warum das so ist: Durch Fragen oute ich mich als „unwissend“. Mir fällt an der Stelle sofort meine Schulzeit ein und das Grinsen der Mitschüler, wenn man eine doofe Frage stellte. Ist es da ein Wunder, dass wir uns nicht trauen, Fragen zu stellen?
Deshalb ist mir eine offene, ehrliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit sehr wichtig. Gebetsmühlenartig biete ich an, für Fragen da zu sein, auch für welche, die schon mehrmals gestellt wurden. Vor allem während der Einarbeitungsphase, in der viel Neues auf einen einprasselt. Nur so kann ich Lücken füllen und über die eine oder andere Klippe helfen. Denn Network Marketing muss man genauso lernen wie jeden anderen Beruf auch.
Das Buch ist ein erkenntnisreicher Lesespaß. Es ist schön geschrieben und sollte eine Pflichtlektüre für jeden sein. Kommunikation und Gesprächsführung sind leider noch keine Schulfächer und das, was wir Zuhause lernen, ist teilweise lausig und taugt nicht immer als Grundlage für gute Beziehungen. „Sokrates in Sneakern“ vermittelt eine ganz besondere Haltung, die ich – heute mehr denn je – für wichtig halte.
▶️ Falls du das Buch liest, bin ich brennend an deinen Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse interessiert.
wow! marita! was ein mega beitrag! ich will unbedingt beim lesen deiner blogbeiträge mehr von dieser bissigen seite in dir spüren, dieses leicht angepisst sein, was in diesem beitrag hier und da durchblitzt bei diesem thema ist sooo so erfrischend! es war ein hochgenuss diesen beitrag zu lesen! lg iris
Liebe Iris,
ich liebe, liebe, liebe Deine Kommentare und werde nicht müde, das immer wieder zu erwähnen. Ich lasse mich gerne von Dir zu mehr „Bissigkeit“ anstoßen. Ich freue mich sehr, dass Dir dieser Artikel gefallen hat. Vor allem, weil er monatelang halbfertig herumlag 😉
Liebe Grüße,
Marita
Liebe Marite,
ich hatte letztes Jahr ein ähnliches Buch in der Hand – You’re Not Listening von Kate Murphy (auch auf deutsch erhältlich) – und hätte es am liebsten für jeden in meinem Umfeld zur Pflichtlektüre erklärt.
Wie du hasse ich es, wenn jemand nicht mal kurz die Klappe halten kann, um überhaupt das Problem zu verstehen. Und wie oft wird nach einer Meinung gefragt, ohne dass man sich die Antwort überhaupt richtig anhört. Da platzt mir gerne mal der Kragen. Im letzten Unternehmen hat man sich sogar teure Berater ins Haus geholt, um zu verstehen, wo das Problem liegt. Die haben viel zugehört. Leider wurde am Ende ihnen nicht zugehört…
Oft hören wir wohl einfach nicht zu, weil wir Angst vor unbequemen Wahrheiten haben. Da ist es leichter und sicherer, ohne Unterlass zu schwafeln. Ich übe mich jeden Tag im Zuhören und habe noch viiiiiel zu lernen!
LG
Vanessa
Liebe Vanessa,
danke für Deinen spannenden Kommentar. Den Buchtipp habe ich mir gleich auf den Kindle gezogen (ohne zu wissen, wann ich zum Lesen komme ;-)) und das mit den Beratern kenne ich. Leider. Ich hab‘ auch noch mächtig viel Entwicklungspotenzial. Nur falls Dich das beruhigt 😉
Liebe Grüße,
Marita