Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als mich ein Freund süffisant fragte, ob ich dieses Buch denn wirklich nötig hätte. Er hatte „Wie man Freunde gewinnt“ von Dale Carnegie auf meinem Tisch entdeckt, das ich gerade las. Ich wollte ihm erklären, dass es darin um Kommunikation und Verbindung geht, doch seine Reaktion irritierte mich so sehr, dass ich sprachlos blieb.

Ab diesem Tag merkte ich, dass mich mein Umfeld immer weniger verstand und ich hörte auf, über meine Interessen zu sprechen.

Ich hatte die Themen Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität für mich entdeckt und war von diesem neuen Blick auf die Welt fasziniert. Ich besuchte Seminare in ganz Deutschland – in der stillen Hoffnung, Gleichgesinnte zu finden.

Menschen, die mich verstehen und mit denen ich meine Begeisterung teilen konnte.

Im Rückblick kann ich sehen, wie sehr all dieses Wissen meine innere Haltung – und am Ende meine Identität – verändert hat. Kein Wunder also, dass ich immer weniger in mein gewohntes Umfeld passte.

Vor allem, weil ich in rasantem Tempo ein Thema nach dem anderen für mich entdeckte. Eine Fähigkeit, die mir damals noch nicht bewusst war und mit der ich mein Umfeld vermutlich stresste.

Weitergehen trotz Widerstand

Und dann kam ich, als im Familienunternehmen die Generationskonflikte hochkochten, auch noch mit neuartigen Ideen um die Ecke. Ich las Managementbücher, entdeckte New Work und Unternehmen, die neue Wege gingen, wie zum Beispiel Klaus Kobjoll mit dem Schindlerhof.

Zu dieser Zeit war das ziemlich revolutionär und ich stieß bei meinen Eltern auf Unverständnis und schmerzhaften Widerstand. Doch ich ließ mich davon nicht aufhalten und setzte, im Rahmen meiner Möglichkeiten, einfach um.

Hatte ich damit Erfolg, dann ließen sie mich machen.

Damals, ich war Mitte zwanzig, konnte ich noch nicht sehen, dass ich mit meinem Gespür für außergewöhnliche Ideen meiner Zeit oft voraus war. Auch so eine Gabe, die ich erst sehr viel später zu schätzen lernte.

Trotz aller Widerstände ging ich meinen Weg weiter und begann, eine Art Inkognito-Leben zu führen.

Nach außen hin schien alles normal, aber innerlich bewegte ich mich weit über die Grenzen des Alltäglichen hinaus. Leider gab es zu dieser Zeit nur sehr wenige Menschen, mit denen ich meine Gedanken und Erfahrungen teilen konnte.

Herausforderungen in der Partnerschaft

Richtig spannend wurde es im Zusammenleben mit meinem Mann. An der Stelle wurden meine Neugier und mein Gespür für ungewöhnliche Wege zu einem entscheidenden Vorteil.

Unsere Familien könnten nicht unterschiedlicher sein: Die eine laut, polternd, selbstbewusst und gerne provozierend, die andere ruhig, zurückhaltend und anpassungsfähig.

Mein Mann war extrovertiert (das hat sich durch viel innere Arbeit etwas verändert) und ich introvertiert, was zu ständigen Konflikten und völligem Unverständnis auf beiden Seiten führte. Während ich gerne Zuhause blieb, fühlte sich mein Mann erst richtig wohl, wenn er unter Menschen war. Er verstand einfach nicht, warum ich großen Familienfeiern nichts abgewinnen konnte, und ich fühlte mich ebenfalls unverstanden.

Das Buch „Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt“ von Susan Cain hat uns beiden die Augen geöffnet. Endlich hatten wir eine Erklärung für unsere Unterschiede.

Ich war nicht falsch, ich war eben anders.

Einen ähnlich erhellenden Effekt hatte das Buch „Refuse to choose“ (Deutsch: Du musst dich nicht entscheiden, wenn du 1000 Träume hast“ von Barbara Sher), das noch nicht in Deutsch erschienen war.

Es fühlte sich an, als hätte ich endlich eine Gebrauchsanleitung für mich bekommen. Plötzlich hatte ich einen Namen für meine vielfältigen Interessen, meine Neugierde und die Freude am Lernen.

Ich lernte mich neu zu verstehen

Endlich verstand ich mich selbst: Meine Fähigkeiten, meine Art zu sein – und auch, warum ich mein Umfeld mit meinen neuen Ideen weiterhin stresste und irritierte.

Als Kind war ich ein stilles, schüchternes Mädchen, das gerne mit sich selbst alleine war. Zu Hause störte das niemanden, auch meine Freude am Basteln und Zeichnen empfand ich als normal.

Wahrscheinlich steckt auch ein bisschen Hochsensibilität in mir – wobei ich mit dem Begriff nicht ganz glücklich bin und lieber von Sensitivität spreche. Vermutlich hat mir gerade die Beschäftigung mit Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität geholfen, vieles nicht mehr als Besonderheit zu sehen, sondern einfach als meine Art zu sein.

Einen differenzierten Blick auf all diese Themen ermöglichte mir übrigens mein Human Design Profil, zu dem es ein Interview gibt: Was lässt sich aus dem Human Design Chart über Introvertiertheit, Scannerpersönlichkeit und Hochsensibilität herauslesen?

Raus aus den Schubladen

Die Begriffe Scannerpersönlichkeit, Hochsensibilität und Introvertiertheit haben mir bei der Entdeckung meiner besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten sehr geholfen. Deshalb findest du sie immer wieder in meinen Blogartikeln. Doch ich habe diese Schubladen mittlerweile hinter mir gelassen und benutze diese Begriffe in meinem Alltag nicht mehr.

Sie passen nicht mehr so recht zu dem Bild, das ich heute von mir habe.

Selbstakzeptanz: Ich bin okay und du auch!

Heute fühle ich mich nur noch selten anders oder falsch. Vor allem seitdem ich meine innere Bauweise kennengelernt habe (4 Dimensionen deiner Einzigartigkeit nach Tina Maria Werner) begleitet mich ein Gefühl von:

Ich bin okay so, wie ich bin und alle anderen auch.

Ich bin ein intuitiver und kreativer Geist, mein Kopf ist ein Hauptbahnhof. Mit meinen Gedanken bin ich oft im Himmel, gleichzeitig stehe ich mit beiden Füßen fest auf dem Boden des Alltags. Meine Intuition wirkt auf ihre ganz eigene Weise durch mich, und seitdem ich das weiß, beobachte ich mich mit neuen Augen. Wie man das nennt, was ich bin und wie ich bin, spielt keine Rolle mehr.

Ich bin ich und das ist gut so.

Ich feiere meine einzigartigen Talente

Inzwischen freue ich mich über meine nicht endende Neugier und meine Freude, Neues zu lernen – es gelingt mir mit großer Leichtigkeit, über den Tellerrand und um die Ecke zu denken. Seit ich mich so akzeptiere und diese Fähigkeiten bewusst nutze, kann ich auch andere Menschen mit ihren Besonderheiten sein lassen. Ich empfinde sie nicht mehr als Bremsklötze, sie sind einfach anders unterwegs als ich. That’s it! Ich bin so viel entspannter geworden.

Ich bin sehr dankbar, so zu sein, wie ich bin:

  • Ich entdecke ständig neue Themen und habe große Freude daran, mich so lange und so intensiv damit auseinanderzusetzen, bis ich genug weiß.
  • Ich gehe lieber mit einer Person zum Essen, als mit einer großen Gruppe und weiß genau, dass ich danach Zeit für mich brauche, um wieder Kraft zu tanken.
  • Small Talk kann ich, mag ich aber nicht. Dafür liebe ich Gespräche mit Tiefgang.
  • Obwohl sich meine Interessen ständig ändern, gibt es einen roten Faden: Spiritualität und Persönlichkeitsentwicklung.
  • Ich bin ein Generalist, kein Spezialist. In Zeiten des Wandels ist das eine absolute Stärke.
  • Ich bin kein Fan davon, im Mittelpunkt zu stehen. Dafür beobachte ich gerne Menschen und Situationen. Eine sehr hilfreiche Fähigkeit, wie ich finde.
  • Ich wirke ruhig, besonnen und zurückhaltend, gleichzeitig habe ich auch eine leicht extrovertierte Seite.
  • Auf Partys findest du mich meist in einer ruhigen Ecke oder im Gespräch mit einer Person. Damit fühle ich mich absolut wohl.
  • Am liebsten bin ich zu Hause. Ich genieße es sehr, Zeit mit mir zu verbringen – ohne mich dabei einsam zu fühlen.
  • Langeweile? Kenne ich nicht.

Fazit: nicht anders, sondern einzigartig

Besonderheiten* zeigen sich in unterschiedlichen Ausprägungen. Vermutlich ist es der langen und intensiven inneren Arbeit geschuldet, dass ich sie nicht lange als Hindernis betrachtet habe, sondern verstanden habe, wie sie mein Leben bereichern.

Was mich immer noch stört, ist, wenn Begriffe wie zum Beispiel Hochsensibilität oder Introvertiertheit inflationär verwendet werden oder wenn jemand sagt: „Ich kann das nicht, weil ich… bin“.

Das wird unserer Einzigartigkeit nicht gerecht.

Es lohnt sich, genau hinzuschauen und sie als Einladung zu nutzen, um sich selbst neu zu entdecken und überraschende Möglichkeiten zu finden.

Dieser Blogartikel entstand im Rahmen einer Blogparade. Vielen Dank, liebe Daniela, für deine Einladung zur Blogparade. Es war ganz wunderbar, mich nochmals mit diesen Themen auseinanderzusetzen.

LOI – Am I enough

*Es gibt wesentlich mehr Besonderheiten, diejenigen, die ich erwähnt habe. Auch das Thema Hochbegabung beschränkt sich nicht nur auf intellektuelle Fähigkeiten.