Sie ist weg. Einfach so. Heimlich, still und leise hat sie sich aus meinem Leben geschlichen. Ohne Vorwarnung und ohne sich zu verabschieden. Meine bunte Kreativität auf Papier. Meine bunten Notizbücher sind Geschichte. Seit Wochen bin ich völlig reduziert und schmalspurig unterwegs. Mit einem schwarzen Stift erobere ich schreibend eine Notizbuchseite nach der anderen.

Eine Veränderung, die meine Vorstellungskraft sprengt

Denn Kreativität ohne Farbe war bisher nicht vorstellbar. Meinen ersten Blog hatte ich KREATIVE PAPIERGESCHICHTEN getauft. Kreativ sind meine Geschichten auf Papier immer noch, lediglich die Farbe fehlt. Und das, wo ich mich an Farben gar nicht sattsehen kann. Ich liebe Knallfarben – besonders auf Papier! Und jetzt das. Was ist hier los?

Bisher Wichtiges spielt keine Rolle mehr

Vielleicht schüttelst du jetzt den Kopf und fragst dich, welches Problem ich eigentlich habe. Aber hey, ich bin mein halbes Leben (eigentlich mein ganzes Leben) lang kunterbunt unterwegs. Na ja, zumindest auf dem Papier. Und jetzt: Nichts. Gar nichts.

Keine Fotos, keine Bilder, kein Artjournaling keine Zeichnungen. Nichts!

Bis vor ein paar Tagen waren meine Schubladen randvoll mit den unterschiedlichsten Farbmedien: Acrylfarben, Aquarellfarben, Gouache, Acrylstifte, Farbstifte, Buntstifte mit den dazugehörigen Pinseln, Papieren und Skizzenbüchern.

Journaling Notizbuch-Seite

Und jetzt ist es mir schon zu viel, eine Papiercollage zu machen oder sie digital zu erstellen. Sogar zum Ausdrucken der April-Tagebuchseiten fehlt mir die Lust. Das hat es tatsächlich noch nicht gegeben.

Ich stehe fassungslos neben mir und frage mich, wer diese Person ist.

Selbst die kreativen Tagebücher, die ich seit 2011 führe und ein ganzes Regal füllen, sind aus meinem Leben verschwunden. Die analogen sowieso, aber die digitalen jetzt auch noch. „Documenting Life“ in seiner allerschönsten Form ist Geschichte. Ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll.

Mein Gewinn am Verlust: Zeit

Einerseits finde ich es schade, andererseits habe ich dadurch einen großen Gewinn: Zeit. Zeit zum Schreiben. Denn die Kreativität mit Farbe und Papier braucht nicht nur Platz, sondern auch Zeit. Und davon nicht zu knapp. Davon abgesehen, verursachte sie ein Dauerchaos auf meinem Schreibtisch, das ich gefühlt nie in den Griff bekam. Das hatte sich durchs digitale Journaling verändert, aber das, was jetzt gerade passiert, haut mich echt vom Hocker. Wie geht denn so was?

Wenn sich das Lebensdrehbuch verändert

Ist es nicht seltsam? Manchmal können uns Veränderungen nicht schnell genug gehen und wenn sie dann da sind, bemerken wir sie erst nicht, obwohl sie die Wirkung eines Erdbebens haben.

Auch wenn ich immer noch etwas verwundert in der Landschaft herumstehe, finde ich es irgendwie cool.

Denn es zeigt mir, dass sich in mir etwas verändert hat. Dass die innere Arbeit, der ich mich seit letztem Mai intensiv widme, wirkt. Und wie! Und natürlich verfehlt auch Johannes‘ innere Arbeit, seine Wirkung nicht. Die dahinterliegende Choreografie verstehe ich noch nicht vollständig, aber ich vertraue einfach mal.

Wenn die Energie für etwas völlig verschwindet, ist das für mich immer das Zeichen für eine tiefgreifende Veränderung. Das Signal ist klar: Stop! We don’t go this way! Im ersten Moment erscheint es wie „von heute auf morgen“, aber in Wirklichkeit ist es ein längerer Prozess, der nur erst plötzlich sichtbar wird.

Déjà-vu: Das ist schon mal passiert

Mit fünfundzwanzig war klar: Ich werde Coach. Ab da ordnete ich diesem Ziel alles unter. Das einzige, was mich aufhielt, war eine Lebenskrise. Deshalb dauerte es fast zwanzig Jahre, bis ich mein Ziel endlich verwirklichen konnte.

Gerade, als das Business nach einigen Jahren anfing zu fliegen, gab ich es auf.

Von heute auf morgen. Ich fuhr gerade von einem vielversprechenden Kooperationsgespräch nach Hause, als mir schlagartig klar wurde, dass der Weg hier zu Ende sein würde. Ich würde mein Coachingbusiness aufgegeben. Denn meine Motivation, mit Unternehmensnachfolgern zu arbeiten, war von jetzt auf gleich verschwunden. Ich hatte auch kein Interesse mehr, den Kulturwandel in Unternehmen zu begleiten. Richtig bewusst wurde mir das vermutlich durch das Gespräch, aus dem ich gerade kam. Etwas in mir signalisierte mir: That’s it. Ich gehe weiter.

Abschied ohne Trauer und Wehmut

Dem Verlassen des Familienunternehmens war ein jahrelanger intensiver Prozess vorausgegangen. Am Ende hatte ich trotzdem das Gefühl, nicht nur meine Arbeit, sondern auch meine Familie zu verlassen. Da war ordentlich Wehmut mit im Spiel. Als ich das Coachingbusiness an den Nagel hängte, fühlte es sich an, als wäre es das natürlichste auf der Welt. Es war, als würde ich von einem Raum in den nächsten gehen. Ich war völlig fein damit. Gleiches passiert im Moment.

Von der Volltischlerin zur Leertischlerin

Wie sehr habe die diejenigen bewundert, die an einem ordentlich aufgeräumten – oder fast leeren Schreibtisch – arbeiten! Gleichzeitig war mir klar, dass ich das wohl nie schaffen werde. Egal, wie ich es anstelle. Und jetzt passiert es fast von alleine. Viele Kreativbücher habe ich schon verkauft. Alle Malutensilien haben, bis auf die wichtigsten Stifte, ihr neues Zuhause (natürlich ordentlich sortiert) im Keller gefunden. Alle Farben AUF dem Schreibtisch sind jetzt in Schubladen verschwunden. Das gibt ordentlich Platz auf meinem Schreibtisch und riecht verdammt gut nach Freiheit. Vielleicht werde ich ja doch noch zur Leertischlerin. 😂

Wer bin ich schwarz-weiß und ohne Farbe?

Mein halbes Leben lang war ich mit viel Farbe unterwegs. Ich habe damit Klamotten und Möbel dreckig gemacht und stapelweise Bücher gefüllt, die ich nach wie vor gerne durchblättere. Ich hatte einen kreativen Blog, einen passenden Instagram-Account und seit Anfang des Jahres die Kategorie Journaling. Und jetzt spielt nichts davon mehr eine Rolle.

Notizbuch Inhaltsseite schwarz-weiß

Die Seiten in meinem Notizbuch sind nichts Besonderes mehr. Ein Foto davon lockt keinen hinter dem Ofen hervor, oder auf meinen Instagram Account. 😉

Schade, aber das ist die neue Realität.

Interessanterweise fühlt es sich weniger seltsam an, als man vielleicht vermuten würde. Es fühlt sich richtig an. Stimmig und irgendwie leicht. Spannend, oder? Ich spüre eine neue innere Freiheit in mir und freue mich über das Geschenk der Zeit.

Dann zeichne ich Bilder jetzt eben mit Worten statt mit Farbe. Ob und wie mir das gelingen wird, weiß ich noch nicht. Offensichtlich ist die Zeit der Abreise gekommen. Ich reise gerne und mit leichtem Gepäck.

Und jetzt du: 🤩 wann hast du das letzte Mal bemerkt, dass sich etwas Gravierendes verändert hat und es kein Zurück mehr gibt?