Ich musste nicht lange überlegen. Natürlich würde ich kommen. Sie brauchten im Büro dringend Unterstützung und ich hatte meine Ausbildung beendet und fand meine Arbeit langweilig. Ein „perfect match“ sozusagen. Die Entscheidung, ins Familienunternehmen einzusteigen, war schnell getroffen.

Gleichzeitig war mir intuitiv klar, dass ich aus der Nummer nicht mehr so schnell rauskommen würde.

Tatsächlich war der Ausstieg aus dem Familienunternehmen ein langer, über Jahre dauernder Prozess, der mir viel Mut abverlangte.

Denn ich verließ nicht nur eine Arbeitsstelle sondern gefühlt auch meine Familie.

Mir war klar, dass ich nicht einfach ins nächste Dorf ziehen konnte, sondern richtig weg musste. Wie praktisch, dass der Mann, den ich kennengelernt hatte und ein Jahr später heiratete, in Düsseldorf wohnte. Ich sehnte mich sowieso danach, die dörfliche Enge zu verlassen und weiter weg zu ziehen. Das schien die Möglichkeit zu sein, die mir das Leben vor die Füße legte. Ich weiß nicht, ob mir der Ausstieg ohne ihn und die regionale Distanz gelungen wäre. Da bin ich ganz ehrlich.

Denn so ein Ausstieg aus dem Familienunternehmen geht, wenn man keine allzu große Lücke hinterlassen möchte, nicht von heute auf morgen.

Es war mir nicht nur wichtig „im Guten“ zu gehen, so weit das überhaupt möglich ist, sondern dass ein guter – oder sogar noch besserer – Ersatz für mich gefunden wird. Denn der Generationswechsel stand an und das Unternehmen musste sich weiterentwickeln – auch personell.

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit

Meine Eltern hatten zwei Unternehmen: ein Schreibwarengeschäft und eine Druckerei. Jeder von uns Kindern (ich habe einen Bruder) sollte eins davon bekommen. So zumindest hatten sich das meine Eltern gedacht, auch wenn sie uns immer sagten, dass wir beruflich machen können, was wir wollen. Da es mit meiner Ausbildung im Einzelhandel nicht klappte, wurde das Schreibwarengeschäft verkauft. Während mein Bruder noch in der Ausbildung war, vergrößerte sich die Druckerei und ich entschloss mich, dort mitzuarbeiten.

Meine Eltern nicht zu unterstützen, kam für mich nie in Frage.

Ich war im Unternehmen aufgewachsen, viele Mitarbeiter kannten mich seit ich auf der Welt war. Sie teilten ihr Frühstück mit mir und passten auf, dass ich keinen Blödsinn machte. Es fühlte sich selbstverständlich an, dort zu arbeiten. Außerdem hatte ich keine anderen Pläne – und gehen konnte ich immer noch. Das dachte ich zumindest.

Die Zeit im Familienunternehmen war mein ganz persönlicher Wachstumsbooster

Durch die Generationskonflikte und die vielen unternehmerischen Herausforderungen habe ich mich schnell auf die Suche nach Lösungen gemacht. Gelandet bin ich beim Thema Persönlichkeitsentwicklung und nach den ersten Ausbildungen und jahrelanger intensiver innerer Arbeit war klar, dass es für mich beruflich in eine andere Richtung gehen würde. Ich spürte, dass ich auf Dauer im Familienunternehmen – Freiheit und Möglickeiten hin oder her – nicht glücklich werden würde.

Also arbeitete ich zielstrebig darauf hin, die Konfliktthemen in mir zu lösen und mich auf das Neue vorzubereiten.

Ich kann mich nicht mehr an den Tag erinnern, als ich meiner Familie mitteilte, dass ich das Unternehmen verlassen würde, aber es war ganz sicher nicht einfach. Denn natürlich hatte ich alle erst mal vor den Kopf gestoßen, enttäuscht, und ihre Pläne durcheinandergebracht.

Aber es ging nicht anders.

Ich musste mich für mich und meinen Weg entscheiden.

Auch wenn es schwer sein würde.

Und das war es. Denn als Unternehmerkind spürt man eine unbewusste innere Verpflichtung. Bewusst wurde mir das allerdings erst durch die viele systemische Aufstellungsarbeit, die ich über die Jahre kennen und schätzen gelernt hatte.

Die Verpflichtung, die Eltern im Familienunternehmen zu unterstützen war unglaublich stark.

Schließlich war ich damit groß geworden. Wir Kinder haben immer mitgeholfen. Wir hatten nie einen Ferienjob, denn Zuhause gab es genug zu tun. Außerdem drehte sich sowieso alles ums Unternehmen. Es stand immer an der ersten Stelle.

Es war ein jahrelanges Ringen – fast schon ein innerer Kampf – mich gegen das Unternehmen und für mich und meinen Weg zu entscheiden.

Ich hatte ein unglaublich schlechtes Gewissen.

Wer war ich denn, dass ich einfach meine Familie im Stich ließ?

Natürlich hatten meine Eltern die Vorstellung, dass ich das Unternehmen gemeinsam mit meinem Bruder führen würde. Dass das nicht wirklich funktioniert hätte, wurde mir erst viele Jahre später bewusst. Und das hat nichts mit meinem Bruder zu tun, mit ihm verstehe ich mich wunderbar, sondern mit den Vorstellungen meiner Eltern und systemischen Gesichtspunkten.

Am Ende ging alles gut

Nach langer Suche wurde ein passender Mitarbeiter gefunden, der meinen Bruder, der inzwischen das Unternehmen führt, fachlich unterstützt. Auch für mich ging es gut weiter, wenn man von der Krise, die uns in München erwartete, mal absieht.

Warum bin ich wirklich gegangen?

Während des Schreibens habe ich mich gefragt, ob es meiner persönlichen Entwicklung geschuldet war, dass ich gegangen bin.

Ich bin recht jung, mit 22 Jahren, ins Familienunternehmen eingestiegen und stand beruflich noch ganz am Anfang. Durch die unterschiedlichen Aufgaben und die große Gestaltungsfreiheit hatte ich einen unglaublichen Handlungsspielraum. Ich hatte die Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu entwickeln und meine Potenziale zu entdecken. Dadurch, und vor allem durch die innere Arbeit, entwickelte sich ein neuer Berufswunsch: ich wollte als Kommunikationstrainerin und Coach arbeiten.

Es könnte also durchaus sein, dass der Ausstieg eine logische Folge meiner inneren Arbeit war.

Das einzige, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, wann ich das Unternehmen verlassen würde. Gegangen wäre ich früher oder später vermutlich trotzdem.

Warum fällte es uns eigentlich so schwer, Altes zu verlassen, um mutig neue Wege zu gehen?

Ich hab‘ mal im Wörterbuch nachgeschaut, wie Mut definiert wird und das hier gefunden:

  • Die Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden; Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte.
  • Mut ist die grundsätzliche Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält.

Anderssein braucht Mut

Ich bin zwar sehr sicherheitsbedürftig und manchmal auch ein bisschen ängstlich, aber grundsätzlich würde ich mich als mutig bezeichnen. Das liegt schon alleine daran, dass ich mich immer ein bisschen anders gefühlt habe. Da braucht es ordentlich viel Mut, um sich gegen den Mainstream und so manchen Widerstand duchzusetzen.

Als Scannerpersönlichkeit bewegt man sich sowieso außerhalb der Norm, als Introvertierte sieht man mich selten auf Partys und durch meine Leidenschaft für Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität bin ich manchen Menschen vermutlich etwas suspekt. Nicht zu vergessen: Die vielen – manchmal katastrophenartigen – Herausforderungen, durch die man am Ende alleine durch muss.

Durch all diese Erfahrungen bin ich über die Jahre immer mutiger geworden. Vor allem habe ich die Angewohnheit, Herausforderungen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern mich damit proaktiv (sobald ich sie als solche erkenne) auseinanderzusetzen.

Auch wenn es kein Spaziergang ist, so ist es doch ein sehr lohnenswerter Weg.

Was mir hilft mutig zu sein

Mut ist auch Übungssache. Das ist zumindest meine Erfahrung. Je öfter man mutig war, umso leichter wird es auf eine gewisse Art und Weise. Gleichzeitig – und an der Stelle muss ich ehrlich sein – gibt es auch in meinem Leben Bereiche, in denen ich ein Feigling bin. Arbeitsstellenwechsel fielen mir immer schwer (liegt vermutlich an meiner Geschichte) und Wohnungswechsel finde ich auch nur mäßig attraktiv.

Dafür gibt’s bei innerer Arbeit kein Halten. Da bin ich nahezu furchtlos und unglaublich mutig. Denn ich habe gelernt, dass man Herausforderungen zwar mal ausweichen kann, aber den dahinterligenden Lernerfahrungen eher nicht.

Für mich bedeutet das: Wenn ich schon durch muss, dann möglichst schnell.

Nach dem Motto „Augen auf und durch“ springe ich auch gerne mal mutig mitten rein. Und manchmal wars dann gar nicht so schlimm, wie ich dachte.

Dieser Blogartikel ist im Rahmen der Blogparade von Esther Nogler entstanden. Ich bin sehr überrascht, welches Thema sich dadurch gezeigt hat. Ein von Herzen kommendes Danke in die Schweiz!