Heute widme ich mich einem Tabuthema: Fehler und Scheitern. Jeder kennts, jeden interessiert’s, aber keiner will darüber reden. Fehler zu machen ist mal das eine, darüber aber auch noch zu sprechen, kann sich schnell wie eine Niederlage anfühlen. Und da wir nichts so sehr scheuen, wie das Urteil anderer, halten wir lieber den Mund. Dabei können wir von den – ich nenne es mal Erfahrungen – anderer so unglaublich viel lernen. Und deshalb starte ich gleich mal mit einer ganz aktuellen Geschichte.

Ohne „Fehler“ keine Erkenntnis

Im Moment lerne ich, Tarotkarten zu legen, um unbewusste Lern- und Entwicklungsthemen zu entdecken. Ich teile meine Karten in einer Gruppe und bekomme von meiner Lehrerin zusätzliche Interpretationsmöglichkeiten. Pflichtbewusst, wie ich nun einmal bin, habe ich das jeden Morgen gemacht. Als (manchmal lästige) Pflicht, die ich zu erfüllen habe. Mal mit mehr, mal mit weniger Motivation, aber das habe ich für mich behalten.

Als ich dann erfuhr, dass es nicht darum geht, einfach eine Pflicht zu erfüllen, sondern sich bewusst mit den Karten auseinandersetzen, war das DIE Erkenntnis des Tages. Ich erfuhr, dass es auch mal Karten gibt, mit denen man nichts anfangen kann, oder die irritieren. Dass es Tage gibt, an denen man sich intensiver damit auseinandersetzt und andere Tage, an denen man gar keine Karte zieht.

Das fand ich ziemlich erhellend, denn in diesem Moment wurde mir das „Pflichterfüllungs-Programm“ bewusst, mit dem ich (noch) unterwegs bin: Das tun, was einem gesagt wird und wenn es nicht funktioniert, den Fehler bei mir selbst suchen.

Was aber viel wichtiger war: ich habe mich damit geoutet.

Habe zugegeben, dass ich unsicher bin. Dass ich es manchmal lästige Pflicht empfinde, dass mich Karten verwirren und ich manchmal Probleme mit der Interpretation habe. Ich habe mich so gezeigt, wie ich gerade bin. Ich war authentisch. Für mich war das ein großer und befreiender Schritt.

Warum wir ungern über Fehler und Scheitern sprechen

Um zu unseren Fehlern zu stehen, braucht es entweder einen guten Grund, oder/und einen vertrauensvollen Rahmen. Denn was befürchten wir denn, wenn wir uns mit Fehlern, Misserfolgen und Unfähigkeiten outen? Wir fürchten die Beurteilung der anderen, die Verurteilung unserer Person.

Wir haben Angst, ausgegrenzt zu werden.

Und nichts ist für einen Menschen schlimmer, als abgelehnt oder ausgegrenzt zu werden. Man kann das übrigens im Hirnscan sehen. Ablehnung und Ausgrenzung ist in der gleichen Hirnregion sichtbar wie körperlicher Schmerz. Deshalb tun wir (fast) alles, um unsere Zugehörigkeit nicht zu verlieren. Denn in Wirklichkeit ist das unsere allergrößte Angst.

Allerdings glaube ich, dass das Hauptproblem darin liegt, dass es an der Stelle zu schnell persönlich wird.

Es ist ein Unterschied, ob wir sagen: „Du hast das falsch gemacht“, alternativ zu uns selbst sagen „ich habe das falsch gemacht“ oder ob wir auf die Sachebene gehen. Dann könnte es vielleicht heißen: „Ich sehe, dass du XY gemacht hast und das zu XY Ergebnis geführt hat. Lass uns mal schauen, was passiert ist.“ Dasselbe gilt auch für den Dialog mit uns selbst. Das ist übrigens etwas, was auch ich noch üben muss, denn wir scheinen alle mehr oder weniger gelernt zu haben, die Person zu Be- oder verurteilen, nicht die Sache selbst. Das Schlimme daran: Wir sind uns dessen nicht bewusst und verletzen damit nicht nur andere, sondern im inneren Dialog auch uns selbst.

Wenn wir über Erfolg sprechen, müssen wir übers Scheitern sprechen

Ich beobachte, dass wir gerne zu Ausweichmanövern neigen, um das Risiko, Fehler zu machen, zu minimieren. Auf den ersten Blick mag das eine gute Lösung sein, aber eben nur auf den ersten Blick. Wenn wir Fehlern (oder dem Scheitern) mal die negative Aura, die sie ständig zu umgeben scheint, nehmen und genauer hinschauen, sind es einfach nur Erfahrungen. Die einen sind hilfreich, die anderen weniger und die nächsten führen zu kleineren oder größeren Katastrophen. Da machen wir doch lieber gar nix, bevor was schief geht, oder?

Als ich für einen Blogartikel über Erfolg nach einer Definition gesucht habe, fand ich die recht unspektakulär:

Erfolg ist das positive Ergebnis einer Bemühung.

Nicht mehr und nicht weniger. Laut Johann Christoph Adelung stammt es vom Verb „erfolgen“ ab, das die Folge, Konsequenz oder den Effekt des Handelns beschreibt. Ganz einfach, völlig unspektakulär – und frei von irgendwelchen Bewertungen oder Bildern im Kopf.

Entweder hat mich eine Bemühung zum Ziel gebracht oder nicht.

An der Stelle wird es ganz besonderes spannend, denn wir beginnen, das Ergebnis zu bewerten. Wenn das Ergebnis vom erwarteten abweicht, habe ich dann etwas falsch gemacht? Bin ich gescheitert? Die Frage ist, wie ich „falsch“ oder „gescheitert“ definiere. Vielleicht fehlte mir Wissen, um das Ziel zu erreichen, vielleicht Erfahrung. Vielleicht ist es genau richtig, dass es anders gelaufen ist, weil ich jetzt ein Ergebnis habe, das sich am Ende als viel besser herausstellt?

Es ist also alles eine Sache der Definition und der Bewertung.

Der Weg zum Erfolg: Scheitern!*

Ich liebe die Geschichten erfolgreicher Menschen. Nicht nur, weil ich sie unglaublich inspirierend finde und bewundere, was sie geschafft oder erschaffen haben, sondern auch, weil sie nie aufgegeben haben. Weil sie sich von nichts und niemandem haben aufhalten lassen, sondern weiter mutig ihren Weg gegangen sind. Und mit erfolgreichen Menschen meine ich nicht nur Unternehmer, sondern jeden Menschen, der mit etwas ringt, kämpft, nach neuen Lösungen sucht. Sie alle haben Niederlagen erlebt, unendlich viele Fehler und Umwege gemacht und sind in Sackgassen gelandet. Trotzdem sind sie weitergegangen.

Und wann ist die Wahrscheinlichkeit für Fehler am größten?

Wenn wir uns auf den Weg machen, Neuland zu erobern. Das bedeutet, dass wir uns – zumindest teilweise – unwissend und erfahrungsfrei auf den Weg machen. Selbst wenn wir bei anderen schauen, wie sie den Weg gegangen sind, werden wir trotzdem neue Erfahrungen und unsere ganz eigenen Fehler machen. Denn Wissen ist nicht dasselbe wie Erfahrung.

Meine Strategie: Ich eröffne ein experimentelles Feld

Ich bin jemand, der auch mal unperfekt startet. Ich lege einfach los und manchmal springe ich absichtlich in eine neue Erfahrung. Dann gehe ich bewusst das Risiko ein, Fehler zu machen und zu scheitern.

Was mir dabei hilft ist, das Ganze als Experiment zu betrachten.

Ich fokussiere mich auf die Aktivität, das Ergebnis ist für ich erst mal zweitrangig. Gedanklich eröffne ich ein experimentelles Feld. Einen erwartungsfreien Raum, in dem alles sein darf und alles möglich ist. Ich spiele sozusagen „über Bande“. Denn wenn ich nur das Ergebnis im Blick habe, erhöht sich mein Erwartungsdruck bis ins Unermessliche. Für mich steigt damit das Risiko und die Angst vor dem Scheitern. Der Weg zum Aufgeben ist dann nicht mehr weit.

Ohne Fehler und Scheitern geht es nicht

Ich betrachte das Leben, und alles was wir tun, als einen Lern- und Entwicklungsweg. Ein Weg des ständigen Lernens, durch den wir herausfinden wer wir sind, was wir können, während wir unsere Grenzen kontinuierlich erweitern. Fehler, Scheitern, Umwege und Sackgassen lassen sich dabei doch gar nicht vermeiden. Sie sind das Preisschild, das an unseren Wünschen, Visionen und Zielen hängt. So what!

Wie heißt es so schön: „Aufstehen, Krone richten, weitergehen.“

Es kommt immer auf unsere ganz persönliche Bewertung an und die ist abhängig von den Konsequenzen, die unser Ergebnis hat. Wenn wir genau hinschauen kann selbst das beste Ergebnis negative Konsequenzen haben. Schon mal darüber nachgedacht?

Zwei persönliche Geschichten übers Scheitern

Zum Schluss möchte ich noch zwei persönliche Erfahrungen mit dir teilen. Beide könnte man mit dem Stempel „erfolgreich gescheitert“ versehen, wenn man das daraus entstandene Ergebnis außer acht lässt.

Das erste ist meine Gründungsgeschichte. Ich habe schlappe zwanzig (ja, zwanzig!) Jahre darauf hingearbeitet, als Coach zu arbeiten. Gerade, als mein Business dabei war erfolgreich zu werden, habe ich es aufgegeben. Bin ich deshalb gescheitert? Ich empfinde es nicht so und ich bedaure auch nichts. Im Gegenteil. Mir wird mehr und mehr klar, dass das zwar die richtige Richtung war, aber die Art des Coachings war noch nicht passend. Über meine Erfahrungen habe ich im Podcast Realtalk Selbstständigkeit mit Nina reflektiert.

In der zweiten Geschichte geht es um unseren Neustart in München. Der war nicht besonders lustig, denn wir sind direkt vom rosa Wölkchen gepurzelt und der Aufprall im gemeinsamen Leben war ziemlich unangenehm. Auf der Suche nach Lösungen sind wir einen etwas anderen Weg gegangen. Und weil wir den Eindruck hatten, dass das sowieso keiner versteht, haben wir irgendwann aufgehört, darüber zu reden. Wir waren ziemlich lange unterwegs und sind dabei miteinander und über uns selbst hinausgewachsen. Ein herausfordernder, aber sehr lohnenswerter Weg.

Die wenigsten Fehler kosten uns das Leben

Ich habe so viele Fehler gemacht und bin so oft gescheitert, dass ich ein Buch füllen könnte. Mit der Zeit, und um viele Erfahrungen reicher, habe ich eine gewisse Gelassenheit entwickelt und gelernt, dass mich noch kein Fehler das Leben gekostet hat. Das einzige, was dabei gestorben ist, sind wenig hilfreiche Vorstellungen über mich und das Leben. 😉 aber um die ist es nicht schade.

Nein ich bin nicht immer furchtlos und mutig. Auch mir schlottern manchmal die Knie. Auch ich bin ab und zu unsicher und ängstlich. Aber ich entscheide, ob ich der Angst folge oder mich mutig in eine neue Erfahrung schubse. In der Regel wage ich den Sprung ins kalte Wasser, weil ich süchtig nach innerem Wachstum und Erkenntnis bin. 🥳

Bereit für neue Fehler?

Ich sag‘ immer flapsig „Leben heißt lernen“, aber an dem Satz ist viel Wahres. Das Leben ist in einem stetigen Wandel und wir sind mittendrin. Es lädt uns zur Veränderung ein, zur Ausdehnung unserer bisherigen Grenzen. Geht das ohne Fehler, Scheitern, Misserfolgen und Niederlagen? Ich glaube nicht. Ich glaube es geht darum, mit Fehlern und Scheitern bewusst umzugehen. Achtsam zu sein, daraus zu lernen und uns immer wieder neu zu auszurichten. Uns neu zu justieren, um uns an neue Gegebenheiten anzupassen. Denn nichts ist so beständig wie der Wandel…

*Die Überschrift habe ich vom Artikel „Der Weg zum Erfolg? Scheitern!“ vom Zukunftsforscher Matthias Horx übernommen. Sehr lesenswert.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Blogparade von Sabrina Linn: „Wie gehst du mit Fehlern um? Erlaubst du dir Fehler und „zu scheitern“? Noch mehr Blogparaden gibt’s bei Judith Peters.